Frankfurt (Oder) (mc). Vor einigen Tagen luden Studierende der Europa-Universität-Viadrina interessierte Besucher zur Podiumsdiskussion „Wir/ My“ in das Gräfin-Dönhoff-Gebäude ein.
Gedämpftes Licht, wohlklingende Klavierklänge, gekonnt vom polnischen Künstler Piotr Tamborski gespielt, eine Bar mit verschiedenen alkoholischen und nicht-alkoholischen Getränken am Rand der bestuhlten Reihen aufgebaut. Gegen eine kleine Spende konnten sich die gespannt wartenden Gäste hier verpflegen. Und sie erschienen zahlreich, die Gäste, so dass die Veranstalter vor dem Beginn des Programms eine Verdopplung der Bestuhlung vornehmen mussten. Viele ältere und jüngere Frankfurter kamen, auch einige bekannte Stadtpersönlichkeiten, aber auch junge polnische und deutsche Studenten warteten aufmerksam auf den Beginn der Veranstaltung.
Nach einer kurzen Vorstellung der Veranstalter, berichtete Dietrich Schröder, Redakteur der MOZ, von seinen Erfahrungen als Journalist in der DDR und der sich ständig wandelnden Beziehung zwischen Frankfurtern und Slubicer Menschen, jeweils abhängig von den Entscheidungen des DDR-Staatapparates. Als Journalist, der die DDR, die Wendezeit, die Vereinigung und dann den Beitritt Polens zur EU erlebte, gab Dietrich Schröder viele Anekdoten, aber auch nachdenkliche Beobachtungen preis. Eine sehr kurze halbe Stunde hörten die Besucher, wie die „Brücke der Freundschaft“ in den 1970ern zwischen Frankfurt und Slubice für die Bürger geöffnet wurde. Wie in der Solidarnosc-Zeit die DDR-Regierung den Kontakt zwischen Frankfurtern und Slubicern fast untersagte. Wie Schröders russische Frau dank ihres sowjetischen Passes aus Polen Pepsi Cola nach Frankfurt schmuggelte. Wie nach der Wende Slubice in Armut versank und die Frankfurter dank westlicher Finanzspritzen vorerst verschont blieben. Wie die Polen anfingen Handel zu treiben. Wie die Angst vor polnischen Diebstählen die Frankfurter prägte. Wie der Frankfurter „Brötchenkrieg“ antipolnische Ressentiments bis zum Boykottaufruf per Flugblätter befeuerte. An eine Leinwand projizierte Fotodokumente veranschaulichten 50 Jahre Frankfurter Stadtgeschichte. Bewegt gingen die Zuhörer in die Pause, die Piotr Tamborski wunderbar am Flügel begleitete.
Viele Gespräche ergaben sich an der spendenbasierten Bar, viele Erinnerungen und Eindrücke wurden ausgetauscht. Anschließend wurde die Podiumsdiskussion eröffnet. Die Professorin Dr. Dagmara Jajeśniak-Quast (Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien ZIP), Philip Murawski (unithea), Dietrich Schröder (MOZ) und Sören Bollmann (Frankfurt-Slubicer Kooperationszentrum) setzten sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der deutsch-polnischen Beziehungen in Frankfurt (Oder) und Slubice auseinander. Im Großen und Ganzen äußerten sich die Teilnehmenden sehr positiv über die Verbindungen und Kooperationen, die zwischen den beiden Städten entstanden sind. Dagmara Jajeśniak-Quast zeigte sich von der Einzigartigkeit der bereits in der kurzen Zeit, seit dem Polen dem Schengener Abkommen beigetreten ist und die Grenzen frei sind, entstandenen Zusammenarbeit begeistert. „Erstaunliches passiert hier”, sagte sie euphorisch. Erst aus der internationalen Perspektive kann man die positive Entwicklung in der Grenzregion bewerten, die weltweit als beispielhaft angesehen wird. Bestätigt wurde diese Perspektive von einem Vertreter der Polizei aus dem Publikum, der von einer weltweit einzigartigen Zusammenarbeit der deutschen und polnischen Polizeibehörde in der Grenzregion berichtete, die jährlich von internationalen Delegationen besucht wird.
Sören Bollmann identifizierte als eine Hürde der gegenseitigen Zusammenarbeit die fehlenden Sprachkenntnisse. So startet diesen Sommer ein EU-gefördertes Projekt, das Angestellten in deutschen und polnischen Behörden den Erwerb von Sprachkenntnissen des jeweilig anderen Landes ermöglicht. Philip Murawski berichtete von der Schwierigkeit mit künstlerischen Mitteln die „richtigen“ Leute zu erreichen, so dass ein „Wir“ wirklich entstehen kann. Ein Beispielprojekt war hier ein von unithea veranstalteter Boxkampf in Frankfurt. Während der Pausen traten Slubicer Rapper auf, die somit auch ein Publikum erreichten, dass Polen gegenüber eher skeptisch eingestellt war. Einzig Dietrich Schröder benannte Probleme, die die deutsch-polnischen Beziehungen in der Grenzregion belasteten. Dies seien aber Provinzprobleme, die nicht nur für Frankfurt typisch sind, sondern jede Region neben einer großen Metropole treffen würden. Hier wäre die Landesregierung mit hilfreichen Förderprogrammen gefragt.
Eine spürbare Konsequenz auf das kulturelle Slubicer und Frankfurter Leben hätte dabei die Umwandlung der Diplom-Studiengänge zu Bachelor und Master gehabt. Die Studenten blieben nicht mehr lange in Frankfurt oder zögen für zwei Jahre gar nicht erst her, so dass die belebende Wirkung eines grenzüberschreitenden, kulturellen Studentenlebens ausbliebe. Die Befürchtung, dass die Grenze durch die gegenwärtigen politischen Entwicklungen wieder geschlossen werden könnte, fing Professorin Dagmara Jajeśniak-Quast durch die positiven Schlussworte auf, dass es hier kulturell ebenso spannend zuginge wie in Berlin.
Wer an dem Abend nicht dabei sein konnte, kann sich unten das Video der Veranstaltung ansehen.
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